Gregor Keller, Intersteno-Ehrenpräsident

Interstenokongress – 2005 in Wien – Vortrag :

50 Jahre INTERSTENO - Tradition und  Fortschritt


Unter dem Symbol der Weltkugel mit dem Bleistift als Erdachse treffen wir uns in diesen Tagen, also vom 23. bis 29. Juli 2005, in Wien. Nun, der Bleistift ist symbolisch, sicher meint er das Schreiben insgesamt, die Handstenografie meint er bestimmt heute nur noch stark eingegrenzt, seit einigen Jahren könnte noch ein Tastaturzeichen, vielleicht das  at-Zeichen (@) dazu gehören.

Aber unser Treffen in dieser Zeit in Wien, das ist auch ein Treffen unter historischem Gesichtspunkt.

 Vom 31. Juli bis 2. August 1955  hatten sich zum ersten Kongress in Monte Carlo  607 Fachleute aus 34 Ländern in Teilnehmerlisten eingetragen. Der 21. Internationale Kongress für Kurzschrift und Maschinenschreiben  wurde am 31. Juli im Théâtre des Beaux-Arts eröffnet. Nach Begrüßungworten des örtlichen Organisators, André Morard, übernahm  Karl Rieser die Leitung; als erste sprachen die Herren Chouvet und Smit und begrüßten die Anwesenden. Herrn Morard wurde von allen besondere gedankt für seine vielen Vorarbeiten zur Durchführung des 21. Kongresses. Das Statut, nach verschiedenen Ergänzungen und Änderungen, wurde beschlossen. Es sollte allen Landesgruppen in ihrer jeweiligen Eigenständigkeit gerecht werden und sie auch nicht bevormunden und hat so bis in die heutige Zeit - unwesentlich verändert - gehalten. Eine Anpassung an moderne und an organisatorische Entwicklungen war aber überfällig.  Sie sehen also: zwei Tage nach diesem Kongress könnten wir sogar den genauen Geburtstag feiern. 50 Jahre, wenn man den Beschluss über das Statut als Geburt der Intersteno ansieht. Darüber gibt es sicher unterschiedliche Ansichten, man könnte auch das internationale Treffen in Vevey im Jahre 1954 als Gründungsversammlung ansehen und man könnte auch sagen, der 1. Internationale Kongress wurde vom 26. September bis 1. Oktober 1887 in London durchgeführt, also gehen wir in der Zählung der Jahre von da aus. Aber es gab damals keine festen Regelungen und die Kongresse wurden mehr oder weniger in dreijährigen Abständen, also unregelmäßig durchgeführt.  

Aber Sie bemerken: es gibt genügend Anlässe um Jubiläen zu feiern. Wir könnten noch viel viel weiter zurückgehen, bis zu den Griechen und den Römern (so wie es Gian Paolo Trivulzio beim Kongress in Rom bezüglich der Römer so nett zelebrierte.). Die Kongresse seit London wurden auch gezählt  (London, Paris, München, Berlin, Chikago, Stockholm, Paris, Brüssel, Darmstadt, Madrid, Budapest, Straßburg, Dresden, Brüssel, Lausanne, Mailand, Budapest, Paris, Amsterdam, London), und der 20. Kongress vom 21. bis 24. Juli 1937 in London war der Letzte vor dem  2. Weltkrieg. Geplant war übrigens den nächsten Kongress 1941 in Nürnberg durchzuführen. Auffällig ist, dass die Kongresse bis dahin öfters auch von politischen Ereignissen und Strömungen abhängig waren. Jedenfalls hat man dann nach dem Kriege die Zählung der Kongresse fortgesetzt und so kam es zum 21. Kongress in Monaco. In Vevey gab es einen Beschluss, dass der Kongress als 21. gezählt wird.  Übrigens gab es auch ein Treffen im Krieg im Jahre 1942 in Salzburg, da wurde u.a. eine holländische Stenografiermaschine vorgeführt. Dieses Treffen mit rund 100 Besuchern und ein erstes internationales Treffen im September 1954 in Vevey in der Schweiz (Anregung kam von den in Mainz 1953 durchgeführten Deutschen Meisterschaften mit vielen internationalen Gästen, bei dem Treffen wurde ein vorbereitender Ausschuss gebildet (Herren Chouvet, Frankreich,  Lundmann, Schweden und Rieser, Deutschland)  gelten nicht als Kongress im geschichtlich gewordenen Sinne (so Dr. Gutzler in der DStZ 1957). Erster Vorsitzender wurde in Monte Carlo Mr. Smit, Holland. Und ganz wichtig, im Vergleich zu den Vorkriegskongressen:  es wurde auf Anregung von Herrn Morard ein Wettschreiben auf Schreibmaschinen veranstaltet. Das gab es vorher nicht, bei den Kongressen waren nur Vorträge gehalten worden, mehr oder weniger zu Darstellung eigener Interessen in repräsentativer Umgebung. Und Vorträge werden ja immer noch gerne gehalten, das ist auch richtig so, so konnten und können u.a. auch wissenschaftliche Diskussionen rund um unsere uns interessierende eigene Themen geführt werden.

 Die erste Weltmeisterin im 30-Minuten-Schnellschreiben war Frau Lore Alt, Deutschland. Im Sicherheitsschreiben Frau Frieß, Deutschland, und im Wettkampf um die höchste Geschwindigkeit (wiederholter Satz) Frau Germaine Zaigle-Gabriel, Frankreich. Man wollte die Jugend zu den Kongressen holen und sie dafür begeistern. Das ist gelungen und bis heute sind die Wettbewerbe die tragende Säule der Kongresse. Ich wünschte mir, dass das auch in Zukunft so bleibt, sehe auch die technischen Entwicklungen, so dass es sicher richtig ist, Überlegungen zur Gestaltung der Kongressprogramme und der Wettbewerbe rechtzeitig anzustellen.

Der 22 Internationale Kongress wurde dann in Mailand im Mai 1957 veranstaltet, natürlich wieder mit Weltmeisterschaften (2.) im Maschinenschreiben. Weltmeisterin wurde wieder Frau Alt, im Perfektionsschreiben wurde Weltmeisterin Frau Piera Bollito, Italien. Viele Themen der Tagungsordnung befassten sich  mit Stenografie: „Die Geschichte der Stenografie in der Welt“, „Kurzschrift im Parlament, in Gerichtshöfen und bei internationalen Konferenzen“, „Die Kurzschrift  außerhalb der beruflichen Verwendung“. Es wurden bei den Vortragsveranstaltungen in Mailand 25 Vorträge in den Kongresssprachen italienisch, französisch, englisch und deutsch angeboten.

Von 1961 an, Kongressort war da die  Kurstadt Wiesbaden am Rhein in Deutschland, gibt es stenografische Wettschreiben, bei denen Sprachenmeister ermittelt wurden. Kongresssorte  waren nach Monaco, Mailand, Wien, Wiesbaden, Prag, Paris, Bern, Warschau, Brüssel, Valencia, Budapest, Rotterdam, Belgrad, Mannheim, Luzern, Bukarest, Florenz, Dresden, Brüssel, Istanbul (40.), Amsterdam, Lausanne, Hannover, Rom und jetzt der 45. Kongress einnmal mehr in der internationalen Metropole Wien). In Dresden gab es dann erstmals einen Weltmeister in Kurzschrift (Manfred Kehrer, Deutschland), der auch den Mehrsprachenwettbewerb dort gewann (8 Sprachen). Die Mehrsprachenwettbewerbe üben eine große Faszination aus, es ist einfach fantastisch, dass Stenografen in einem Dutzend Sprachen stenografieren und  für die Intersteno ist gerade auch dieser Wettbewerb  sehr öffentlichkeitswirksam.

Nun kann ich in einer mir zur Verfügung gestellten halben Stunde auch nicht annähernd umfassendere Ausführungen machen. Herrn Trivulzio habe ich eine Auflistung für eine geplante Auflistung  im Internet schon vor einiger Zeit zur Verfügung gestellt, so dass er dort Kongresse, deren Präsidenten und  Organisatoren veröffentlichen kann.

Interessante Ausführungen gäbe es in Hülle und Fülle. Eine Auflistung aller Meister, es sind einige hundert, eine Auflistung aller gehaltenen Vorträge, die übrigens bis 1977 vorhanden ist (Katalog der Stenografischen Bibliothek, Dresden, bearbeitet von Frau Elfriede Wedegärtner).  Bis heute schätze ich dir Zahl der Vorträge auf über 800 insgesamt. Wussten Sie, dass es von 1960 bis 1969 ein Informationsblatt der Intersteno gab, es erschienen 11 Ausgaben. Heute können wir das natürlich einfacher übers Internet machen, was ja auch längst geschieht:  einige Landesgruppen bedienen sich schon seit Jahren des Internets mit nachweisbar größerem Erfolg (zehntausende Zugriffe) als das mittels einer gedruckte Information (Zeitung) möglich ist - zur Information ihrer Mitglieder und insbesondere der Öffentlichkeit, was ja besonders wichtig ist.  

 Übrigens gab es auch schon vor der nach dem 2. Weltkrieg  gegründeten Intersteno Wettschreiben, zum Beispiel beim Madrider Kongress von 1912 im Maschinenschreiben. Und 1928 gab es ein stenografisches Wettschreiben in Budapest in der Geschwindigkeit von 400 Silben. Aber das waren Einzelereignisse. Nach der Einführung der Wettschreiben zu den Kongressen stieg die Zahl der an den Kongressen Teilnehmenden enorm, so um 500 bis 700 oder gar noch höher, und vorher kamen zu Kongressen um 100 bis 150 interessierter Spezialisten und Funktionäre. Und das scheint mir ganz wichtig: Die Jugend kam und das führte natürlich zu einer doch so wichtigen Veränderung des „Klimas“ der Kongresse. Und auf die Jugend müssen wir doch bauen. Sie ist unsere Zukunft. Auf Traditionen kann man schon aufbauen – aber im heutigen Informationszeitalter ist Tradition nicht entbehrlich, in erster Linie müssen wir zukunftsorientiert arbeiten eben für und mit unserer Jugend.

Die Durchführung von Wettbewerben  geht  zu Lasten der Vorträge, es fehlt  Zeit für umfassende Diskussionen. Die Organisatoren behalfen und behelfen sich: Die Zeit für Vorträge wurde radikal heruntergesetzt und im Voraus begrenzt. Das hat allerdings auch den Vorteil, dass Vortragende sich auf das Wesentliche konzentrieren müssen und regelmäßig auf langatmige weniger interessierende Ausführungen verzichten. Und vielleicht auch auf nicht mehr Aktuelles...

Übrigens gab es früher auch regelmäßig  Ausstellungen während der Kongresse.. Die  wurden dann auch immer weniger bis es schlussendlich fast  keine Ausstellungen mehr gab. Aber es zeigen sich seit einigen Kongressen doch wieder Ansätze, umfangreichere Ausstellungen, Vorführungen und Repräsentationen zu veranstalten, vielleicht weniger geschichtsbewusst, eher den technischen Entwicklungen der Zeit folgend. Das ist eigentlich nur zu unterstützen, könnten sich doch dann viele Teilnehmer aus zahlreichen Ländern, die nun zu unseren Kongressen anreisen, einen Überblick zum aktuellen Stand der Technik in unseren Bereichen verschaffen. Allerdings wird das bei deren enormem Umfang sehr schwierig werden, das umfassend zu organisieren. Und eine CeBIT oder andere derartige Computermessen werden wir nicht ersetzen können, aber filtern können wir das was da gezeigt wird  für unsere Interessen - und vielleicht können wir diese von sovielen Menschen  aus aller Welt besuchten Ausstellungen auch nutzen für eine Werbung für die Intersteno. Öffentlichkeitsarbeit ist auch enorm wichtig für unsere Organisation. Da besteht meines Erachtens auch ein bedeutendes Tätigkeitsfeld für die Intersteno und die Landesgruppen. 

Beachtlich, da immer auch im Mittelpunkt des Interesses, ist die Arbeit der Parlamentsstenografen. So war dies auch immer Gegenstand von Darstellungen und Diskussionen bei den Kongressen. 1995, beim Kongress in Amsterdam, wurden erstmals Mitglieder eines Koordinierungs-Komitees gewählt (Koordinator Peter Walker). Und von da ab sind auch immer bei den Kongressen eigene Veranstaltungen (Treffen) durchgeführt worden, so wie jetzt auch hier im Ablaufplan des Kongresses in Wien vorgesehen. Mr. Peter Walker, United Kingdom, hat bis Januar 2005 die Entwicklung von IPRS (Intersteno Parliamentary Reporters’ Section) schriftlich dargestellt. Eine Aktualisierung der Regeln (Rules) wird von ihm angeraten.

Wir sind heute hier in Wien, dieser wunderbaren Stadt. Und ich habe mir, wenn auch schweren Herzens, verkniffen auf viele viele Ereignisse wie beispielsweise weltmeisterliche ans Artistische grenzende Leistungen, wunderbare Kongresse und Menschen in dieser Intersteno einzugehen. Und das Leben bringt auch oft wenig Weltmeisterliches und nicht nur Freude und Spaß – auch Trauriges und Leid, auch darüber habe ich nun nicht gesprochen. Sie sehen mir das alles ganz sicher wohl auch nachdenklich nach. Und ich wünsche mir, dass Sie vor Ihren eigenen Augen, Kongresse und Ereignisse vorbeifließen lassen. Zu bereits genannten Namen möchte ich aber noch zwei Männer, die für unsere Organisation ungewöhnlich viel geleistet haben und die Geschicke der Intersteno nach dem Krieg mit starker Hand geleitet haben, hier nennen: Das sind die beiden -  leider nicht mehr unter uns Lebenden - Generalsekretäre Marcel Racine, Schweiz, 27 Jahre lang bis 1981  und Dr. Karl Gutzler, Deutschland, 20 Jahre lang bis 2001. Sie waren die fleißigen und engagierten Garanten für eine stetige Fortentwicklung und auch den Zusammenhalt innerhalb der Intersteno. Letzteres ist eine ganz bedeutende Aufgabe, wir müssen zusammenhalten.

Unsere österreichische Landesgruppe ist schon immer ein bedeutender, wichtiger Teil der Intersteno. Und ich habe natürlich auch mal nachgeschaut über unseren Gastgeber in meinem Datenfundus und bin auch fündig geworden. Aber das allein wäre  ein mehrstündiger Vortrag geworden. Am 4. November 1953 hielt der Stenografenbund Österreich im Festsaal der Wiener Handelsakademie  seine satzungsmäßige Hauptversammlung ab. Warum ich das sage? Es gab zwei Verbände und ab Beginn des folgenden Jahres gab es nach Einigung dann noch einen einzigen Verband. Vorsitzender wurde Amtsrat, später Hofrat Prof. Wilhelm Zorn, der den Verband 35 Jahre lang vital und geistvoll leitete. Sie kennen ihn bestimmt und/oder haben schon von ihm gehört, er ist am 28. März 2002 im 89. Lebensjahr gestorben und wir haben ihn und seine „Zornecke“ im Döblinger Heimatmuseum des 19. Bezirks hier kennengelernt, auch bei Treffen der Intersteno hier in Wien. Es gab ja immer mal wieder internationale Treffen und ich habe sogar noch aktive Teilnehmer am Wiener-Kongress, dem von  1959, getroffen. Franz Sager war auch damals dabei – ich habe ihn in der Ergebnisliste über die  Weltmeisterschaft auf der Schreibmaschine gefunden.

Ab 1. Januar 1954 erschien dann der „Österreichische Stenograph“ als einzige stenographische Zeitschrift Österreichs. Und in dieser ersten Ausgabe  habe ich ein Wort gefunden, das ich nun zum Ende meiner Rede als ein Motto für uns alle in den Mittelpunkt stellen will: Friede ernährt, Unfriede zerstört. Das meinte: Wertvolle Kräfte werden beispielsweise durch das Festhalten an Prinzipien vergeudet. Das Gemeinsame muss in den Vordergrund rücken.

Der 23.Internationale Kongress für Kurzschrift und Maschinenschreiben in Wien vom 22. bis 28. August 1959 war „traumhaft“, habe ich nachgelesen: Traumhaft die Beteiligung, traumhaft die herrliche Stadt, traumhaft die mustergültige Organisation, traumhaft der Heurige....

Und so wünsche ich uns allen in diesem Jahr, 50 Jahre nach der Verabschiedung unseres ersten Statuts im Sommer 1955, wieder einen traumhaften Kongress und unserer Präsidentin Marlis Kulb viel Erfolg und Ihr und uns allen hier das Quäntchen Glück, das man halt immer auch im Leben braucht. Und ein weiteres Motto für die Intersteno habe ich auch in einer stenografischen Schrift gefunden: Höchstes Ziel für die Interstenokongresse ist die Freundschaft.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.